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05.12.2024
„…schließlich wird das Leben nicht in Sekunden sondern in Atemzügen gemessen.“
Der letzte Satz im Film „Wer hat eigentlich die Liebe erfunden“.
Empfehlenswert!
15.06.2024
Ich sorgte mich
Ich sorgte mich um vieles. Wächst der Garten, fließen
die Flüsse in die richtige Richtung, dreht die Erde
sich, wie man sie lehrte, und wenn nicht, wie
soll ich es korrigieren?
Hatte ich recht, lag ich falsch, wird man mir vergeben,
kann ich etwas besser machen?
Werde ich je fähig sein zu singen? Selbst die Spatzen
sind dazu in der Lage, und ich, nun ja,
bin hoffnungslos.
Schwindet mein Augenlicht oder bilde ich mir das nur ein,
bekomme ich Wundstarrkrampf,
Rheuma oder Demenz?
Am Ende erkannte ich, dass Sorgen nichts bringen.
Und ich gab sie auf. Und nahm meinen
alten Körper, ging hinaus in den
Morgen und sang.
(Mary Oliver, Gesammelte Gedichte)
13.01.2024
„Trost dringt ein in tiefere Schichten, in den Raum der Stille in uns, in den wir hineinatmen, bis uns Flügel wachsen.“ Gabriele von Arnim, Der Trost der Schönheit, Seite 16
„Wahrscheinlich alle Religionen lehren“, schreibt Navid Kermani, „daß…sich bei jedem Atemzug die Weltseele – also das, was alle Geschöpfe miteinander verbindet – mit der einzelnen Seele vermischt.“ Gabriele von Arnim, Der Trost der Schönheit, Seite 9
20.11.2023
Vor kurzem habe ich Robert Lax (1915-2000), einen amerikanischen Lyriker, entdeckt. Seine Texte kennzeichnen Einfachheit und einen unverstellten Blick auf das Leben. Robert Lax: „Ich glaube, wir sind Teil eines universellen rhythmischen Prozesses, denn wir sind alle ein Teil der Natur – wir sind in ihr und von ihr. Wir atmen wie die herein- und herausrollenden Wellen – wir fließen. Kosmische Kreativität und kreative Entwicklung gehen dauernd weiter. Alles singt ständig.“
08.10.2023
Der Atem ist das schwingende Band zwischen Körper, Seele und Geist. Dieser Satz wird von Atemtherapeut:innen immer wieder sehr gerne verwendet. Das Zitat wird Romano Guardini (1885-1968) zugeschrieben. Leider konnte ich bisher keine Quellenangabe hierzu finden. Dennoch habe ich diesen beliebten Satz heute einmal etwas genauer betrachtet.
Körper: Der Atem ist fundamental für das Überleben des Körpers. Nach wenigen Sekunden führt Sauerstoffmangel im Gehirn zur Bewusstlosigkeit. Nach etwa 4 bis 6 Minuten ohne Sauerstoff erleidet das Gehirn irreversible Schäden. Wenn die Atmung für eine längere Zeit ausfällt, können schwere Hirnschäden und der Tod eintreten. Im Unterschied zu allen anderen vom vegetativen Nerversystem unwillkürlich gesteuerten Prozessen in unseren Ogansystemen können wir die Atmung willentlich beeinflussen. Wir können den Atem zum Beispiel anhalten, gleichmäßig machen oder vertiefen. Diese Sonderstellung der Atmung ist ein Schlüssel zur Beeinflussung unserer Gesundheit.
Seele: Der Atem spielt eine wichtige Rolle für unser psychisches Wohlbefinden. Er kann als Schwelle zwischen den bewussten und unbewussten Prozessen dienen und dadurch ermöglichen, bisher Verborgenes wahrzunehmen. Redewendungen verleihen unserer Sprache Ausdruckskraft und ermöglichen es, verschiedene Gefühle oder Situationen im Zusammenhang mit dem Atem auszudrücken wie: Etwas verschlägt oder raubt mir den Atem; etwas ist atemberaubend schön und macht sprachlos; mit angehaltenem Atem auf etwas warten; am Atem des anderen hängen u.a..
Geist: Durch bewusstes Atmen können Stress reduziert, Emotionen reguliert und die Konzentration gesteigert werden. Mit der bewussten Hinwendung zum Atem beginnen viele Meditationen. Eine tiefe meditative oder kontemplative Versenkung korrespondiert mit dem inneren Zellatem, der alle drei Dimensionen miteinander verbindet. In der Atemarbeit erfahrbar durch Empfindungen wie körperliches Strömen oder Fließen, Gefühle wie Wohlbefinden, Zeitlosigkeit, Raumöffnung, Verbundenheit, Harmonie u.a..
02.10.2023
Teju Cole
Dies ist eine kurze Textpassage aus dem neuesten Buch von Teju Cole: „Black Paper“. Cole besitzt die Gabe, seinen Gedanken das Empfinden einzuhauchen. Seine Texte berühren mich.
Wir sehen, wir hören, wir berühren und werden berührt, wir schmecken, wir riechen. Wir können jederzeit Teile unseres Körpers orten, wir empfinden heiß und kalt, wir fühlen Schmerz, wir können das Gleichgewicht halten, wir kennen Momente der Synästhesie, wir lassen uns von Jasminduft in Staunen versetzen, uns bewegt der Klang der Trommeln, wir spüren, wie sich die Architektur auf den Körper auswirkt. Wir finden in Buch um Buch, Film um Film Augenblicke der Komplexität und Komplizierung, die uns aufrütteln und uns umso enger ans Leben binden, jene körperlichen und neuralen Reize, die uns versichern, dass es nicht nur uns so geht.
Wir bewegen uns mit wachen Sinnen durch die Welt, und treffen auf andere mit wachen Sinnen – vielförmige und feinstoffliche Körper, die wechselseitig aufeinander einwirken – und dies alles mahnt uns, uns unserer Verantwortung füreinander zu stellen. Wir sitzen im selben Boot, und in diesem Boot riechen wir unsere Körper.
(Teju Cole, Black Paper)
10.05.2023
Gemütsruhe
Es gibt viele schöne Texte über das Atmen. Dieser von Shunryu Suzuki gehört zu meinen liebsten.
Zuerst übt, sanft auszuatmen und dann einzuatmen. Gemütsruhe liegt jenseits des Endes der Ausatmung. Wenn ihr also sanft ausatmet,ohne dass ihr auszuatmen versucht, dann tretet ihr in die vollständige Ruhe eures Geistes ein. .. Wenn ihr auf diese Weise ausatmet, dann wird die Einatmung an diesem Punkt ganz natürlich einsetzen. All das frische Blut, das alles von außen heranträgt, wird euren ganzen Körper durchdringen. Ihr werdet völlig erfrischt. Dann beginnt ihr wieder auszuatmen, dieses frische Gefühl in die Leere auszudehnen. So fahrt ihr Moment für Moment fort, ohne zu versuchen, irgend etwas zu tun…..
…..Wenn ihr ohne Mühe einatmet, dann kommt ihr ganz natürlich, mit einer
gewissen Farbe oder Form, zu euch selbst zurück….Der wichtigste Punkt ist eure
Ausatmung.
Shunryu Suzuki, Seid wie reine Seide und scharfer Stahl
04.04.2023
Das Atmen
Gerade fand im beim Durchstöbern alter Unterlagen diesen Text von Alexander Solschenizyn aus den Achtzigerjahren. Ich finde ihn erschreckend aktuell und zugleich fühle ich mich diesem Atem, von dem Solschenizyn spricht, sehr nahe und verbunden.
In der Nacht hat es ein wenig geregnet, und jetzt ziehen noch die Wolken über den Himmel, und ab und zu kommt es ein wenig feucht von oben. Die kleinen Tropfen rieseln gleich auf die rußigen Schornsteine und auf die zerschundenen Dächer unserer vier fünfstöckigen Häuser, die sich um einen quadratischen Hof schließen. Der Hof ist ziemlich groß und vom Regen sehr schmutzig. Und doch hat er etwas sehr Schönes in sich: In der Mitte des Hofes liegt ein rundes Fleckchen lockerer Erde, die von größeren Steinen umsäumt ist. Drei Apfelbäume wachsen in diesem Kreis, und ihr Rauschen im Wind ist wie ein Flüstern der Freiheit von draußen. Denn es ist ein Gefängnishof, und wir machen dort heute einen keinen Spaziergang.
Ich stelle mich unter einen blühenden Apfelbaum und atme, atme….
Nicht nur der Apfelbaum, auch die Gräser tropfen vom Regen, und es gibt keinen Namen für diesen süßen Duft, der die Luft durchtränkt. Ich ziehe diesen Duft mit der ganzen Lunge ein, ich spüre sein Aroma mit der ganzen Brust und ich atme, atme – mal mit offenen , mal mit geschlossenen Augen, und ich weiß nicht, was besser ist….Aber ich spüre die Freiheit!
Ist das vielleicht ein Merkmal, dass ich irre bin? Man sagte mir und allen diesen grauen Gestalten, die über den Hofschleichen – wir seien irrsinnig, geisteskrank, unwürdig in Freiheit zu leben…
Aber hier, unter diesem Apfelbaum, hat man noch das Gefühl der Freiheit, dieser einzigen, allerbesten, allerkostbarsten Freiheit, die wir im Gefängnis so entbehren..
Also atmen, tief atmen, hier unter diesem Apfelbaum! Keine Speise der Welt, kein Wein, ja, sogar kein Kuss einer Frau ist mir süßer als diese Luft, diese Luft, getränkt von Blühen, Feuchtigkeit, Frische.
Drei Bäume auf dem Gefängnishof – es mag noch so winzig sein, aber es ist ein Gärtchen! Ein Gärtchen, das zwischen fünfstöckigen Häusern eingeklemmt ist, die an Tierkäfige erinnern.
Man hat uns in diese Käfige eingesperrt, will wir frei fühlten, frei dachten und frei redeten.
„Aber das ist gerade die große Verirrung des Geistes“ sagte ich ironisch und zugleich traurig zu mir selbst, „die Krankheit, die Freiheitsliebe heißt und auf die hin man uns verurteilte…
Für wie viele Jahre?
Ich ziehe nochmals diesen süßen Duft unseres kleinen Gärtchens aus drei Apfelbäumen tief in meine Lunge ein und freue mich wie ein Kind:
„Draußen hintern den großen Mauern des Gefängnisses höre ich das Hupen der Wagen, das Geheul der Radios und das Geplärr der Lautsprecher…Aber ich brauche das alles nicht: Solange man atmen kann, nach dem Regen, unter einem Apfelbaum, solange kann man ja noch leben!“
Alexander Solschenizyn (Aus dem Russischen übertragen von M. A. Misevicius)